07 Dezember 2011

X-mas-Story

Lieber Weihnachtsmann,
ich weiß, lange Jahre habe ich nichts von mir hören lassen, aber so ist das heute - "no News are good News". Dieses Jahr muss ich Dich allerdings um so mehr um Hilfe bitten, denn es gibt Momente, da weiß ich einfach nicht mehr weiter. Ach ja, ich vergaß es Eingangs zu erwähnen, ich arbeite in einer Versicherung.
Ich kann mich noch gut erinnern, als ich mich für diesen Beruf entschieden habe. Kunden beraten und die beste Lösung individuell für sie zu finden; das hat richtig Spaß gemacht. Dann begann vor über einigen Jahren die „Industrialisierung“ und seitdem ist nichts mehr, wie es vorher war.

Wenn ich noch in der Vergangenheit genau wusste, wie ich mit meinen Akten umgehen muss, wissen heute viele meiner Chefs besser, was gut für mich und die Kunden ist. Und das obwohl ich derjenige bin, der direkt den Kundenkontakt hat. Dies allein hat mein Gewissen in den letzten Jahren immer öfter beschäftigt. Und jetzt, lieber Weihnachtsmann, kommen auch noch die alten Unternehmensberater zurück.  Dachte ich anfangs, die Dunkelverarbeitung könnte Strom sparen helfen, merke ich heute, wie die Computer meine Arbeit ersetzen. Und dann die ständig neuen Kontrollsysteme. Für alles, was ich mache, oder nicht mache, muss ich mich mittlerweile rechtfertigen.
Ich verstehe jetzt langsam die Welt nicht mehr. Auf der einen Seite wollen die Kunden eine individuelle Beratung, und dann machen unsere Chefs dies mit Zeitvorgaben kaputt? Selbst am Telefon blinkt nach 2 Minuten Gespräch schon ein Fenster „bitte zum Ende kommen, der nächste Anrufer wartet seit 32 Sekunden“. Kannst Du das nachvoll­ziehen lieber Weihnachtsmann? Wir bieten doch eine Dienstleistung an, und stellen keine Kühlschränke her!
Dazu kommt noch ein weiterer mich sehr bewegender Punkt, der auch für alle meine Kolleginnen und Kollegen in den Telefon- und Vertragseinheiten gilt. Ich habe einfach das Gefühl, dass sich niemand meiner Chefs dafür interessiert, ob ich überhaupt die Menge der Arbeit schaffen kann. Wenn ich dieses Thema anspreche, kann ich Dir genau sagen, lieber Weihnachtsmann,  was dann als Antwort kommt: "Meinen Sie, dass der Job noch der richtige für Sie ist?" oder "Sie müssen sich besser organisieren!". Besser organisieren! Würde ich ja gern, aber auch hier wurde mir in den ver­gangenen Jahren durch Online-Wissensdatenbanken, Einführung von neuen Programmen und damit verbundenen längeren Prozessen meine Zeit am Kunden "begrenzt" und jetzt bin ich dafür verantwortlich, wenn ich nicht genug schaffe? Stell Du Dir bitte einmal vor, Du müsstest Dein Weihnachtsfest ohne die Unterstützung Deiner Wichtel "über die Bühne bringen" und Deinen Schlitten selber ziehen, da Deine Rentiere "weggekürzt" wurden? Und wenn es dann Beschwerden von Kindern hagelt, wirst Du dafür auch noch  verantwortlich gemacht. Das ist doch nicht nachvollzieh­bar, oder?
Einen kleinen Silberstreif am Horizont gibt es für mich. Demnächst verhandeln wir den Manteltarifvertrag, wir machen ihn zusammen mit dem agv „modern“.
Bei den Banken gibt es eine von den Arbeitgebern unterzeichnete "gemeinsame Erklärung zum betrieblichen Gesundheitsschutz im Bankgewerbe". Ich empfehle Dir dringend diese Lektüre. Sie fängt an mit "Die Unternehmen begegnen ihren Beschäftigten mit Respekt und Vertrauen" – ja genau, das habe ich auch gedacht. Ist doch eigentlich selbstverständlich! Aber ich hoffe, dass wir hier auch mal was positives übernehmen können.
Ich denke, dass auf dieser Basis in den anstehenden Tarifverhandlungen 2012 mehr konkrete Dinge vereinbart werden, die meine Gesundheit schützen. Vielleicht kannst Du ja einmal an der einen oder anderen Stelle Deinen Einfluss dafür geltend machen. Ich wäre Dir sehr dankbar!

So lieber Weihnachtsmann, das ist mein kleines Stimmungsbild, wie es aktuell einem Versicherungsmenschen geht. Über die Probleme der Kolleginnen und Kollegen im Außendienst bekommst Du bestimmt auch noch was zu hören. Eigentlich habe ich nicht viel auf meinem Wunschzettel. Mir würde es schon reichen, wenn ich zukünftig fair,  mit Respekt und vertrauensvoll behandelt werde.
Ich hoffe, Du kannst mir hierbei helfen. Solltest Du Rückfragen haben, bitte ich Dich dies per E-Mail zu tun, da Du mich telefonisch nur sehr schwer erreichen kannst, zudem bearbeiten wir nur noch gescannte Dokumente – Papier wurde schon lang abgeschafft.
Ich wünsche Dir ein erfolgreiches Weihnachtsfest, dass auch Du Deine Zielvorgaben schaffst  und hoffe dass Deine Helfer und Rentiere nicht der Rendite zum Opfer gefallen sind.

Dein Master of Insurance (ja, so heißt das heute)

2 Kommentare:

  1. Wo gibt es denn heute noch einen Service? Hauptsache die Rendite stimmt. Wer heute als Dienstleistungsempfänger noch Geschäfte mit einer Aktiengesellschaft macht, ist doch selber schuld.

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  2. Eine Standardisierung der Prozesse führt zu Schnelligkeit und Effizienz. Die Führungskräfte streben dies an und setzen dies mit Service gleich. Im Low-Level-Bereich mag das ja auch funktionieren, wenn man einfache Bedürfnisse der Kunden hat und es nur eine geringe Auswahl an Produkten und Dienstleistungen gibt. Im High-Level-Bereich der Versicherungen, welches beratungsintensiv ist und in dem es um die individuellen Wünsche des Kunden geht, ist dies ein Irrweg!

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